aus: NDR-Panorama 28.11.

G20-Prozess: Hartes Vorgehen gegen Fabio V.

von Stefan Buchen

Der Fall des jungen Italieners sollte ein Beispiel für erfolgreiche Strafverfolgung von G-20-Demonstranten sein. Doch so einfach scheint es nicht zu sein. Denn die Beweislage ist dünn. Der junge Mann vom Südrand der Alpen, Fabio V., war kurz vor Beginn des G-20-Gipfels am Rande eines von der Polizei aufgelösten Protestzuges mit rund 200 Teilnehmern festgenommen worden. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hielt eine „empfindliche Freiheitsstrafe“ für „wahrscheinlich“. Die Vorwürfe wogen schwer: versuchte schwere Körperverletzung, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und besonders schwerer Landfriedensbruch. Die zu erwartende Strafe stelle einen Fluchtanreiz für den jungen Italiener dar, deshalb müsse er während des Prozesses in Untersuchungshaft bleiben, schrieben die Richter im Juli.

Haftbefehl gegen Fabio V. ausgesetzt

Aber jetzt, nach fünf Verhandlungstagen, schrumpft die Anklage offenbar zusammen. „Aus verfahrensökonomischen Gründen könnte es angezeigt sein, die Anklagevorwürfe (…) auf den Vorwurf des (besonders schweren) Landfriedensbruchs zu beschränken“, heißt es in einem neuen OLG-Beschluss vom 24.11.2017. In dem Beschluss weisen Hamburgs oberste Richter den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, Fabio V. in Untersuchungshaft zu halten. Der Angeklagte kam gegen Auflagen frei. Der Haftbefehl gegen ihn ist außer Vollzug gesetzt, wie es das Amtsgericht bereits eine Woche zuvor entschieden hatte. Fabio V. wird also fortan nicht mehr in Handschellen, sondern als freier Mann zu seinem Prozess erscheinen.

Staatsanwaltschaft hat keine Beweise

Kai Wantzen, Sprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts © NDR Fotograf: Screenshot

Kai Wantzen, Sprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts, bestätigt, dass es keine Beweise für Gewalttaten von Fabio V. gibt.

Aus dem Protestzug anlässlich des G-20-Gipfels waren laut Anklage 18 Gegenstände in Richtung herannahender Polizisten geworfen worden. Die Staatsanwaltschaft räumt jedoch selbst ein, dass sie Fabio V. keine eigenhändige Gewaltausübung nachweisen könne. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht antworteten bislang sämtliche Polizeizeugen auf die Frage, ob sie den Angeklagten bei der Demo gesehen hätten, mit „Nein“.

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aus: taz 27.11.

G20-Gegner Fabio V. ist frei

Winter in Hamburg

Nach fast fünf Monaten wurde der 18-jährige Italiener Fabio V. heute aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Prozess wird noch Monate dauern.

KATHARINA SCHIPKOWSKI

Porträt Fabio V.

Der Angeklagte Fabio V.    Foto: Miguel Ferraz

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie und Amnesty International kritisieren den Fall. „Letztlich läuft das auf eine Aushöhlung des Demonstrationsrechts hinaus“, sagte Michèle Winkler, die den Prozess für das Grundrechtekomitee beobachtet. Amnesty International hat vergangene Woche V.’s sofortige Freilassung gefordert und schrieb in einer Stellungnahme: „Niemand darf in Kollektivverantwortung für die Gewalt beim G20-Gipfel genommen werden, wenn es keine individuellen Beweise gibt.“

„aus: taz 27.11.“ weiterlesen

aus: Hamburger Morgenpost 20.11.

MOPO-Kommentar: Das ist nicht gerecht

MOPO-Redakteurin Stephanie Lamprecht

Man muss Fabio V. nicht zu einem politischen Gefangenen hochstilisieren, um allmählich ein ungutes Gefühl zu bekommen. Der Junge  hat keine Flasche geworfen, der war längst in Gewahrsam, als in der Schanze die Gewalt explodierte. Trotzdem scheint es, muss Fabio  dafür büßen, dass er sich nicht taktisch in den Staub wirft.

Seine Erklärung im Prozess jedenfalls zeugt von Idealismus. Seit 19 Wochen sitzt dieser kleine Fisch (keine Vorstrafen!) hinter Gittern. Nicht weil er Autos angesteckt oder Gehwegplatten von Dächern geworfen hat. Sondern weil er nicht weglief, als die Polizei kam. Das ist nicht gerecht.

Quelle: https://www.mopo.de/28875138

aus: taz 18.11.

18-jähriger Italiener bleibt in U-Haft

Das G20-Exempel

Fabio V. sitzt seit dem G20-Gipfel in U-Haft. Hamburgs Staatsanwaltschaft besteht darauf. Am Tatort gesehen hat ihn niemand.

Der Angeklagte Fabio V. vor Gericht.

Muss vorerst weiterhin in Haft bleiben: der 18-Jährige Fabio V. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Wenn es sich um irgendein anderes Verfahren handelte, ohne Bezug zum G20-Gipfel, wäre der Beschuldigte schon lange frei. Da ist sich der Anwalt von Fabio V., Arne Timmermann, sicher. Es ist Mittwoch, der letzte von vier ursprünglich vorgesehenen Prozesstagen, und die Verteidigung zieht eine Zwischenbilanz: „Nach allem, was wir bisher gehört und gesehen haben – wie ist es da möglich, dass der dringende Tatverdacht gegen meinen Mandanten weiter aufrecht erhalten wird?“

Vorgeworfen wird Fabio V., auf einer Demo am Rondenbarg gewesen zu sein, aus der heraus die Polizei „massiv angegriffen“ worden sein soll. Demonstrant*innen sollen Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamt*innen geworfen haben. V. selbst wird das aber nicht vorgeworfen. Der Vorwurf gegen ihn lautet nur, dabei gewesen zu sein. Das sind nach Ansicht der Staatsanwaltschaft drei Delikte: schwerer Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.

Bloß, dass keiner der Zeugen, die bisher vor Gericht ausgesagt haben, Fabio direkt belasten kann, weil ihn keiner am Rondenbarg gesehen hat. Alle Polizisten antworteten auf die Frage, ob sie ihn schon mal gesehen hätten: „Nein“. Dass das auch bei den noch ausstehenden Zeugenaussagen so sein wird, hat das Gericht bereits zugegeben.

„aus: taz 18.11.“ weiterlesen

aus: NDR Panorama online 17.10.

Verfahren gegen G20-Demonstrant: Aus Mitläufer wird Gewalttäter

»Es mag schwer fallen, es zu glauben, aber wer genau hinsieht, wird in Hamburg derzeit Zeuge der Entmenschlichung eines Angeklagten. In Deutschland, und gerade auch in der Hamburgischen Justiz, müsste man dieses Phänomen aus der Geschichte kennen. Träfe die Behauptung zu, dass man aus der Geschichte gelernt habe, müsste es jetzt gerade auch „in der Bevölkerung“ mehr Empörung geben.«

von Stefan Buchen

+++ UPDATE 18.10.: Ablehnungsantrag gegen Richterin zurückgewiesen, so Gerichtspressestelle: Prozess geht weiter am Di. 7.11. +++

Fabio V.

Der Italiener Fabio V. sitzt seit dem G20-Gipfel in der Jugendhaftanstalt „Hahnöfersand“ in Untersuchungshaft.

„Die Bevölkerung“ habe „einen Anspruch“ auf Bestrafung der G-20-Täter, betonte Oberstaatsanwalt Michael Elsner am Montag, den 16. Oktober zum Auftakt des Prozesses gegen den 18-jährigen Italiener Fabio V. vor dem Amtsgericht Hamburg-Altona. Die Ankläger werfen dem kapitalismuskritisch eingestellten jungen Mann aus den Dolomiten „schweren Landfriedensbruch“, „versuchte schwere Körperverletzung“ und „tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte“ vor.

Wer warf welche Gegenstände?

Fabio war am frühen Morgen des 7. Juli am Rande eines Protestzuges von etwa 200 größtenteils vermummten Demonstranten in einem Industriegebiet im Westen Hamburgs festgenommen worden. Aus der Demonstration heraus, so schreibt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift, seien mindestens 14 Steine und vier pyrotechnische Gegenstände geworfen worden. Ein Polizeivideo, das die Szene dokumentiert, liegt Panorama vor. Belege dafür, dass der Angeklagte selbst Gegenstände geworfen hat, scheint es nicht zu geben. Die Staatsanwaltschaft legt es ihm jedenfalls in der Anklage nicht zur Last. Die Vorwürfe gegen den jungen Italiener stützen sich im Kern darauf, dass er Teil jenes Protestzuges gewesen sein soll.

„aus: NDR Panorama online 17.10.“ weiterlesen

Kongressergebnisse zusammengefasst 

„Widerstand gegen den Abbau unserer demokratischen Grundrechte!“

Auszug aus der Pressekonferenz

Samstag 7.10. 17:20 Uhr, VHS Düsseldorf, Kongress „Demonstrationsrecht verteidigen! Vollständiges Video hier, mit Dank an r-mediabase!

aus: Pressemitteilung Amnesty International 10.10.

Amnesty warnt vor Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Polizisten in NRW
Die neue schwarz-gelbe Landesregierung will die erst kürzlich eingeführte polizeiliche Kennzeichnungspflicht wieder abschaffen. Der nordrhein-westfälische Landtag berät am Mittwoch über den Gesetzentwurf. Amnesty International fordert alle Abgeordneten dazu auf, diesen rechtsstaatlichen Rückschritt abzulehnen.  

BERLIN, 10.10.2017 – „Die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht in NRW wäre ein gravierender Rückschritt für eine moderne, transparente Polizeiarbeit“, sagt Maria Scharlau, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland. „Eine polizeiliche Kennzeichnung ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, die in vielen Ländern weltweit Praxis ist. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, staatliches Handeln ihnen gegenüber gerichtlich überprüfen zu lassen.“

Eine individualisierte Kennzeichnung von Polizisten ist zentrale Voraussetzung für die Aufklärung einzelner Fälle von rechtswidriger Polizeigewalt. „Eine Kennzeichnung schützt auch Polizisten vor falschen Anschuldigungen und trägt grundsätzlich zu mehr Transparenz in der polizeilichen Arbeit bei. Eine allgemeine Kennzeichnungspflicht signalisiert  kein generelles Misstrauen gegen alle Polizisten“, so Scharlau.

„aus: Pressemitteilung Amnesty International 10.10.“ weiterlesen

aus: taz vom 9.10.

Kommentar G20-Polizeistrategie

Leider keine Beweise

Für einen Hinterhalt im Schanzenviertel beim G20-Gipfel gibt es keine Beweise. Die Polizei sah bei den Randalen lange zu. Eine bewusste Eskalation?

Brennende Barrikade bei G20 Protest

Während Demonstranten das Schanzenviertel zerlegten, schaute die Polizei zu.Foto: dpa

HAMBURG taz | Es ist die Schlüsselszene für die G20-Krawalle Anfang Juli: Ein Mob aus pan-europäischen Autonomen und Hamburger Spaß- und Wutbürgern zerlegt das Schanzenviertel; brandschatzt, plündert und prügelt – und die Polizei tut: nichts. Über zwei Stunden schauen die hochgerüsteten Einheiten von beiden Seiten der Straße aus zu, Wasserwerfer und Räumpanzer bleiben stehen. Zu gefährlich sei ein Einsatz gewesen, wird die Polizei hinterher über diesen Moment sagen, in dem für viele Hamburger das Vertrauen in diesen Staat kaputt gegangen ist.

Man habe einen Hinterhalt befürchtet, so die Polizei. Randalierer hätten Molotowcocktails und Gehwegplatten von Dächern werfen wollen. Drei Monate später gibt es dafür keinerlei Beweise. Der eine Molotowcocktail, der geflogen sein soll, entpuppt sich als simpler Böller. Zertrümmerte Gehwegplatten fanden sich überall – nur nicht auf Dächern.

„aus: taz vom 9.10.“ weiterlesen

aus: junge Welt vom 7.10.

Demonstrationsrecht

»Pfefferspray kann schlimme Auswirkungen haben«

Eingriff in Grundrechte: Demonstrationen sollten nicht von Spezialeinsatzkräften ­begleitet werden. Ein Gespräch mit Alexander Bosch

Markus Bernhardt

Wie gefährdet ist die Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik?

Insgesamt ist sie es nicht, trotzdem kann man in Deutschland polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen beobachten, die negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts haben und Menschen davon abhalten können, ihr Grundrecht wahrzunehmen.

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Sei es durch die gerade erfolgte Strafrechtsverschärfung »zum Schutz von Polizeibeamten«, sei es durch Meldeauflagen oder eine Einsatztaktik, die nicht auf Deeskalation setzt. Auch versuchen staatliche Akteure immer wieder, unliebsame Demonstrationen zu verbieten.

Damit einher geht eine zunehmende Aufrüstung und Militarisierung des Polizeiapparats. Der Berliner Senat aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beschafft gerade zwei gepanzerte Fahrzeuge, darunter einen sogenannten Survivor. Ein solches kugelsicheres Kriegsfahrzeug war bereits bei den Protesten den G-20-Gipfel im Juli in Hamburg im Einsatz. Es schützt seine Insassen sogar vor Angriffen mit atomaren und chemischen Kampfstoffen und kann auf Wunsch mit Abschussanlagen für Tränengas ausgestattet werden. Wofür ist eine solche Anschaffung nötig?

Inwieweit die Anschaffung solcher Fahrzeuge für den Worst Case notwendig ist, kann ich nur schwer beurteilen. Trotzdem stellt sich die Frage, was solche Fahrzeuge sowie Spezialeinsatzkräfte, SEK, auf Demonstrationen zu suchen haben. Weder stehen oder standen wir in Deutschland in den vergangenen Jahren vor dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung oder mussten Aufstände bekämpfen. Wir sollten schon darüber diskutieren, ob zu einer gewöhnlichen Antifa-Demo in Sachsen das SEK aufgefahren werden muss oder ob hier nicht durch Polizeitaktik auch Feindbilder am Leben gehalten werden und legitimer Protest kriminalisiert wird?

„aus: junge Welt vom 7.10.“ weiterlesen

aus: SPIEGEL-Online vom 6.10.

G20-Randale Polizei hat keine Beweise für Hinterhalt im Schanzenviertel

Beim G20-Gipfel in Hamburg verwüsteten Randalierer ein ganzes Viertel – die Polizei sah stundenlang tatenlos zu. Neue Erkenntnisse schüren Zweifel an der bisherigen Rechtfertigung der Einsatzführer.

Die Hamburger Polizei hat eingeräumt, dass sich ihre Darstellung der G20-Krawalle in wesentlichen Punkten nicht beweisen lässt. Außerdem musste die Behörde frühere Angaben zu Vorfällen während des Gipfels Anfang Juli korrigieren. Das zeigen Antworten der Innenbehörde auf eine Kleine Anfrage der Hamburger Linken-Abgeordneten Christiane Schneider. Das Dokument liegt dem SPIEGEL vor.

Im Kern geht es um die Ereignisse in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli im Viertel Sternschanze. Damals griff die Polizei über Stunden nicht ein, als Randalierer Barrikaden anzündeten und Geschäfte plünderten. Erst Spezialeinsatzkommandos (SEK) bekamen die Lage in den Griff.

Lebensgefahr für die Beamten?

Es habe Lebensgefahr für die Beamten bestanden, so rechtfertigte die Polizeiführung das Zögern. Man habe Erkenntnisse gehabt, wonach sich Gewalttäter auf Dächern in der Straße Schulterblatt versammelt hätten, um die Polizei mit Steinen, Gehwegplatten, Eisenstangen und Molotowcocktails zu bewerfen.

Auf die Frage, wie viele dieser Gegenstände als Beweismittel gesichert wurden, teilte die Behörde nun mit: „nach derzeitigem Kenntnisstand keine“.
„aus: SPIEGEL-Online vom 6.10.“ weiterlesen