aus: junge Welt 28.02.

Prozess-GAU in Hamburg

Gerichtsverhandlung geplatzt: Angeklagter G-20-Gegner Fabio V. bangt um berufliche Zukunft, wenn Verfahren neu aufgerollt werden muss.

Von Kristian Stemmler
G20_Prozesse_54836467.jpg

Prozesswelle nach dem G-20-Gipfel: Aktivisten im September vor dem Strafjustizgebäude in Hamburg

Im Hamburger Verfahren gegen den italienischen G-20-Gegner Fabio V. (19) herrscht an Absurditäten kein Mangel. Jetzt ist es um eine skurrile Wendung reicher. Wegen der Schwangerschaft der Vorsitzenden Richterin ist der Prozess vor dem Amtsgericht Altona vermutlich geplatzt. Der Verhandlungstermin am Dienstag wurde wegen einer Erkrankung der Richterin abgesagt, ihr Mutterschutz beginnt Mitte März. »Es ist nicht zu erwarten, dass die Sache in zwei Wochen zu Ende geführt werden kann«, sagte die Anwältin des Aktivisten, Gabriele Heinecke, am Dienstag gegenüber junge Welt.

Das bedeute aller Voraussicht nach, so Heinecke, dass der gesamte, Mitte Oktober 2017 begonnene Prozess neu aufgerollt werden müsse, also in einigen Monaten von vorn beginne. Das »Mündlichkeitsprinzip« im Strafprozess gebiete es, dass sämtliche Zeugen erneut gehört werden. »Für Fabio ist das eine Katastrophe«, sagte die Rechtsanwältin. Weil er für das Verfahren in Hamburg sein musste, habe er seine Arbeit in Italien verloren. Wenn er zur Neuauflage erneut an die Elbe kommen müsse, werde er den nächsten Job vermutlich auch verlieren.

Am Dienstag habe die Verteidigung weitere Anträge stellen wollen: »Wir hatten ja gerade erst angefangen«, so Heinecke. Es sei noch viel zu klären, etwa die Frage, ob der Einsatz der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) »Blumberg« am 7. Juli 2017 im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg, bei dem Fabio V. festgenommen wurde, überhaupt rechtmäßig war. Die für überhartes Vorgehen gegen Demonstranten bekannte Brandenburger Einheit hatte am ersten Tag des G-20-Gipfels einen Zug von rund 200 Aktivisten gestoppt und brutal zerschlagen.

Der Prozess ist das umstrittenste G-20-Verfahren, es dürfte wegweisend sein für den Umgang mit dem Versammlungsrecht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten aus dem norditalienischen Belluno keine konkreten Handlungen vor. Die Anklage – besonders schwerer Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte – beruht nur auf einem Konstrukt: Fabios Anwesenheit am Rondenbarg wird als »psychische Beihilfe« für Steinewerfer ausgelegt. Der Aufzug sei auf Gewalt angelegt, daher keine unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehende Kundgebung gewesen.

Genau in diesem entscheidenden Punkt scheint die Anklage immer mehr zu wackeln. So sagte der Beamte Uwe St. der BFE »Blumberg« am 13. Februar in der Verhandlung aus, gerade vor dem Hintergrund des beginnenden G-20-Gipfels sei man davon ausgegangen, es am Rondenbarg mit einer Demonstration zu tun zu haben. In diesem Fall hätte aber, sagte Heinecke gegenüber jW, mit den Demonstranten kommuniziert werden müssen, dass die Versammlung für aufgelöst erklärt wird. Sowohl Uwe St. als auch sein Einsatzleiter hätten ausgesagt, dass dies unterblieb.

Auf dem Bericht von Uwe St. zum Einsatz am Rondenbarg fußte der viel kritisierte Haftbefehl gegen Fabio V., der ihn viereinhalb Monate Lebenszeit kostete. Von der Behauptung des Zeugen, Polizisten und Fahrzeuge seien von diversen Steinen getroffen worden, blieb im Verfahren nicht viel übrig. Am 13. Februar wusste der Polizist vor Gericht nur noch, dass ein einziges Fahrzeug getroffen wurde. Auch sein Einsatzleiter konnte nicht plausibel begründen, warum seine Einheit so brutal auf die Demonstration losgegangen war. Die schwarze Kleidung sei für ihn das optische Signal gewesen, dass es sich um Gewalttäter handelt, erklärte er.

Der Hamburger Lokalausgabe der Taz druckte am Montag ein Gespräch mit Fabio V., sein erstes Interview mit einer deutschen Zeitung nach seiner Haftzeit. Der Italiener kritisierte die Justiz darin scharf. Dass er allein für die Anwesenheit bei einer Demonstration so lange in U-Haft gesessen habe, passe in das »immer repressiver werdende System in Europa, das benutzt wird, um Leute einzuschüchtern und zu unterdrücken, die rebellieren wollen«. Wenn er tatsächlich verurteilt werde, bedeute das, »dass das Recht zu demonstrieren in Deutschland mit Füßen getreten wird«.

https://www.jungewelt.de/artikel/328084.prozess-gau-in-hamburg.html